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Der Stapel ungelesener Bücher – Wenn Lesen zum Konsum wird

Wer kennt ihn nicht, diesen stillen Zeugen unseres guten Vorsatzes: den Stapel ungelesener Bücher, kurz SUB. Er wächst leise, manchmal schleichend, manchmal explosionsartig – und irgendwann türmt er sich zu einem Symbol unseres modernen Konsumverhaltens. Bücher, die wir unbedingt haben wollten, stehen dann wie Trophäen in unseren Regalen. Aber gelesen? Fehlanzeige.

Was harmlos klingt, ist längst mehr als ein kleines Laster. Es ist ein Spiegel unserer Zeit – einer Zeit, in der auch Lesen von der Schnelllebigkeit des Konsums und dem Druck der Selbstinszenierung im Netz nicht verschont bleibt.

Bücherkauf als Lifestyle – Social Media und die Sucht nach dem Neuen

Auf Instagram und TikTok – oder genauer: auf Bookstagram und BookTok – dreht sich alles um ästhetische Buchcover, perfekt arrangierte Lesestapel und das „Book Haul“-Video der Woche. Das Auge liest mit, der Algorithmus belohnt Konsumfreude, und aus dem Lesen wird eine Art Wettbewerb.
Dabei verlagert sich der Fokus: Weg vom eigentlichen Inhalt, hin zum Haben, Zeigen und Teilen. Das nächste Buch wird nicht mehr gekauft, weil uns die Geschichte reizt, sondern weil es in ist. Weil es im Feed anderer Leser*innen auftaucht. Weil man dazugehören will.
Und so wächst er weiter, unser SUB, getrieben von Klicks, Likes und kurzzeitigem Dopaminrausch – einem Gefühl, das längst nichts mehr mit Lesegenuss zu tun hat.

Die unsichtbare Last: Umwelt und Ressourcen

Doch der übermäßige Buchkonsum hat eine Seite, die selten in diesen schönen Bildern auftaucht: die ökologische.
Papierherstellung, Druck, Transport, Verpackung, Rücksendungen – jedes Buch hinterlässt einen Fußabdruck. Und je öfter wir unüberlegt kaufen, desto größer wird dieser Abdruck.
Natürlich sind Bücher Kulturgüter. Aber auch Kulturgüter können zum Problem werden, wenn sie in Massen produziert und ungenutzt im Regal verstauben. Die Ironie dabei: Viele von uns lehnen Fast Fashion oder Einwegprodukte ab – und verfallen gleichzeitig dem Buchkaufverhalten, das ähnlich impulsgetrieben und ressourcenintensiv ist.
Wer sich einen Stapel ungelesener Bücher anlegt, legt damit auch einen kleinen Stapel ökologischer Konsequenzen an.

Lesen als Statussymbol – oder als stiller Rückzugsort?

In einer Gesellschaft, in der alles sichtbar gemacht wird, wird selbst Lesen zum Statement.
„Schau her, was ich lese!“ ersetzt zunehmend „Ich nehme mir Zeit für eine Geschichte.“
Das ist schade, denn Lesen war einst ein intimer, entschleunigter Akt – kein Bestandteil einer digitalen Performance.
Der SUB ist daher nicht nur ein Symbol des Überflusses, sondern auch des Verlustes - an Tiefe, Ruhe und Aufmerksamkeit. Wir kaufen Geschichten, die wir nie erleben. Wir jagen nach Neuem, ohne vorher das Alte zu würdigen.

Ein Plädoyer für bewussteres Lesen

Niemand sagt, man dürfe keine Bücher mehr kaufen. Aber vielleicht sollten wir wieder lernen, achtsamer zu lesen – und bewusster zu konsumieren.
Fragen wie: Will ich dieses Buch wirklich lesen? Oder will ich es nur besitzen? können helfen, den eigenen Impuls zu bremsen.
Nachhaltiges Lesen heißt nicht Verzicht. Es heißt Wertschätzung.
Ein bewusst ausgewähltes Buch kann mehr bedeuten als zehn ungelesene.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir unseren Stapel ungelesener Bücher nicht länger als Sammlung von Versprechen sehen – sondern als Einladung, innezuhalten.


Fazit

Der SUB ist mehr als ein lustiger Running Gag unter Leser*innen. Er ist ein stilles Zeugnis unseres Konsumzeitalters – einer Welt, die selbst die Liebe zum Lesen in einen Markt verwandelt hat.
Doch wir können gegensteuern.
Indem wir Bücher wieder als das begreifen, was sie sind: nicht als Deko, nicht als Trophäen, sondern als Fenster zu anderen Welten.
Vielleicht ist es genau das, was wir alle ein bisschen brauchen – weniger Stapel, mehr Geschichten.

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